DDR war kaputt, nicht mehr zu retten

23.10.2010

Kreis-CDU feierte 20 Jahre Deutsche Einheit in Zichtau / Festredner: Gerd Gies, erster Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt

uwe harms
Plauderstündchen: Ex-Ministerpräsident Gerd Gies, Gardelegens CDU-Ortsverbandschef Karsten Rauhut, Dr. Wilfried Schielke aus Klötze und der Landtagsabgeordnete Uwe Harms

ZICHTAU. Es war zwar nicht auf den Tag genau. Aber das Jahr stimmte: Vor 20 Jahren
gab es die Deutsche Einheit. Grund genug für die Kreis-CDU, dieses Ereignis gebührend
zu feiern. Die Christdemokraten taten dies am Donnerstagabend auf dem Gutshof in
Zichtau. Hauptredner des Abends war Dr. Gerd Gies, damals der erste Ministerpräsident.

Sie stießen mit Sekt an. Auf "das größte Geschenk der jüngeren deutschen Geschichte",
wie Karsten Rauhut, der Vorsitzende des CDU-Ortsverbandes Gardelegen, feierlich erklär-
te.Gemeint ist die Deutsche Einheit, die vor 20 Jahren vollzogen wurde. Die CDU, daran
besteht kein Zweifel, war maßgeblich daran beteiligt. Auch Gerd Gies, der erste Minister-
präsident des 1990 wiedergegründeten Bundeslandes Sachsen-Anhalt. Der heute 67-jährige
Stendaler war im Speicher des Zichtauer Gutshofes Festredner. Und erinnerte sich an eine
aufregende und zum Teil chaotische Zeit.
"Ein Riesenspaß" sei es irgendwie doch gewesen, so Gies rückblickend. "Ich habe alles
entschieden, ohne zu wissen, ob ich das durfte oder nicht durfte." Gesetze und Verord-
nungen gab es teilweise noch nicht, auch noch keinen Landes-Rechnungshof. Nicht mal
eine richtige Regierung, erinnert sich Gies, der am 28. Oktober 1990 zum ersten Minister-
präsidenten von Sachsen-Anhalt gewählt wurde. "Meine einzige Regierungsmitarbeiterin
war meine eigene Sekretärin." Die Minister saßen weit verstreut in der neuen Landes-
hauptstadt Magdeburg. "Ich musste lauter Dinge tun, die ich nicht gelernt hatte." Das
sei alles "sehr, sehr spannend" gewesen.
Die Rolle der DDR-CDU beschrieb Gies ebenfalls. Viele seien der Partei vor 1989 beige-
treten, "um dem Drängen der SED zu entgehen". "Sehr wohl hätten auch CDU-Mitglieder
Benachteiligungen erlitten". Allerdings hätten "einige auch uneingeschränkt die SED-Politik
unterstützt."
Scharf ging Gies mit jenen ins Gericht, "die heute behaupten, die Errungenschaften der
DDR seien kaputtgemacht worden." Gies: "Das System war kaputt, es war nicht mehr zu
retten." Die DDR "hätte nicht mal mehr die Renten für ihre eigenen Bürger bezahlen kön-
nen. Sie hatte nichts mehr, sie war am Ende." Auch deshalb, so mutmaßt Gies, habe die
Führung letztlich im Wende-Herbst kapituliert und buchstäblich kampflos die Macht abge-
geben.
Nach der Wende, ab 1990, war dann die CDU an der Macht. Mit Gies als Ministerpräsiden-
ten bis zum 4. Juli 1991, als er zurücktrat. "Danach haben wir die Regierungsverantwor-
tung leichtfertig abgegeben", spielte er auf die Tatsache an, dass die CDU in dieser
ersten Legislaturperiode mit ihm selbst, Volker Münch und Christoph Bergner gleich drei
Ministerpräsidenten verschliss. 1994 kam Reinhard Höppner (SPD) ans Ruder. "Damit
versank unser Bundesland in ein rot-rot-grünes Chaos", brach Gies den Stab über die
CDU-Nachfolger. Davon habe sich Sachsen-Anhalt, behauptet er, bis heute nicht erholt.
Auch zur Arbeit der Treuhand äußerte er sich. Oft seien nur die negativen Fälle in die
Öffentlichkeit gekommen. "Aber tausende Projekte liefen hervorragend", so Gies.

Wütend ist er über die seiner Meinung nach mangelhafte geschichtliche Aufarbeitung der
DDR-Zeit. In Westdeutschland habe man die Nazi-Zeit zwar auch erst nach 20 Jahren rich-
tig aufgearbeitet. "In der DDR gab es das fast gar nicht", so Gies. Und heute, 20 Jahre
nach dem Ende der DDR? "Alles ist fokussiert auf die Stasi", bedauert Gies. Die Rollen
der politischen Führungskräfte würden nicht weiter untersucht. "Es ist unerträglich, dass
es frühere SED-Leute gibt, die heute wieder auf gut dotierten Posten sitzen." Mit Schild
und Schwert der Partei, nämlich mit dem Miinisterium für Staatssicherheit (MfS) , habe
man sich nach der Wende sehr wohl befasst. "Aber nicht mit den Leuten dahinter, mit
Kopf und Hand." Was Gies ungerecht findet. Denn "wer die Stasi kommandiert hat, ist
eigentlich belastet genug."
Der Gies-Vortrag endete mit dem Text der dritten Strophe der deutschen Nationalhymne.
Und zwar von Gies. Gesprochen, nicht gesungen. Er schloss seinen 40-minütigen Beitrag
mit den Worten "blühe, deutsches Vaterland."

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